Es war ein schmerzhafter Einschnitt in der Deutschpunkszene, als Slime sich 1994 auflösten. Und wohl das sicherste Zeichen dafür, dass im vereinten Deutschland endgültig neue Zeiten angebrochen waren. Damals begündete die Band den Schritt mit den Worten: 'Was wir sagen konnten und wollten, haben wir gesagt. Was sollte nach 'Schweineherbst' noch kommen?' Sehr berechtigte Frage. Nun ist 'Sich fügen heißt lügen' da. Das behutsame Comeback von Slime wird von den Einen bedingungslos gefeiert, von den Anderen kritische beäugt. Nun darf man nicht den Fehler machen und von dem ersten Album seit 18 Jahren das nahtlose Anknüpfen an alte Zeiten erwarten. Dazu sind zu viele Jahre ins Land gegangen und in selbigem zu viel passiert. Guter Deutschpunk war im Westdeutschland der 80er Jahre und noch in den Nachwendejahren leichter zu machen, (Text)Klassiker wie 'Legal, illegal, scheißegal' oder 'ich war dabei' ließen sich mit klaren Feindbildern einfach schreiben. Wobei man im Falle von Slime unbedingt betonen muss, dass sie auch musikalisch immer eine herausragende Band waren. Sie haben mit ihren Kompositionen eine eindrucksvolle Entwicklung von 'Slime I' bis 'Schweineherbst' hingelegt und mit sicherer Hand den Zeitgeist vertont. Der ist heute immer weniger konkret zu greifen. Das zeigen z.B. die letzten beiden, musikalisch doch sehr nivillierten Alben von Dritte Wahl. Die Deutschpunkbands der oberen Güteklasse, zumal mit gewichtigem Erbe aus den 80ern und 90ern auf den Schultern, treffen sich mittlerweile in einem schwer definierbaren Soundbrei wieder. Es fehlt an Prägnanz, an Eindeutigkeit, an Abgrenzung. Und da sind wir bei 'Sich fügen heißt lügen'. Natürlich enttäuschen uns Slime nicht. Natürlich liefern sie kraftvollen, wütenden und v.a. gut gemachten Punkrock ab. Natürlich trägt der, allein durch Dirks Gesang, das unverkennbare Slime-Timbre. Dennoch wabert der Sound etwas unpräzise durch den Äther. Er sagt uns nichts über unsere Zeit. Musikalisch hätte es dieses Album schon im Jahre 2000 geben können. Viel aktueller kommen da die Texte von 'Sich fügen heißt lügen' daher, und das will was heißen. Die stammen nämlich ausnahmslos aus der Feder von Erich Mühsam und sind damit über 80 Jahre alt. Ein kluger Schachzug von Slime, sich der übergroßen Erwartungshaltung an ihr Comebackalbum auf der Textebene derart zu entziehen, zumal mit Schlagzeuger Stephan ein wichtiger Texter des alten Line-ups bei der Reunion nicht dabei ist. Mit dem Rückgriff auf Mühsams Texte erreichen Slime einen erstaunlichen Grad an Aktualität, und das sagt einiges aus - vor allem, was für ein famoser Typ Mühsam war. Texte wie etwa der von 'Seenot' könnte so auch heute geschrieben sein. Das verleiht dem Album dann doch etwas Zeitloses im Klassikersinne. Die bleibende und zwingende Wirkung, die jedem bisherigen Slime-Album immanent war, entfaltet 'Sich fügen heißt lügen' jedoch nicht.